Es ist wieder soweit: Ich werde einen Text schreiben, der das Potenzial hat Freundeskreise zu sprengen und die Autorin selbst sozial zu isolieren. Ich bitte meine Formulierungen im Vorfeld zu entschuldigen. Wie oft in der Komik werde ich überspitzen, überzeichnen, und nur schwarz und weiß denken. Wir alle wissen aber, dass das Leben genau das Gegenteil dessen ist; eine Sintflut an Graustufen, ein Spektrum, auf dem wir uns bewegen. Ich schicke das voraus, weil das Thema, das dieser Text behandelt, ein derart empfindliches ist.
Es geht um präferierte Heißgetränke.
Und seien wir ehrlich, wir alle wissen, dass Diskussionen hier regelhaft komplett entarten und Menschen mit einer Vehemenz auf ihren Ansichten beharren, die man sich im politischen Kontext manchmal wünschen würde.
Kein Wunder auch! Im Spätstadium des Kapitalismus wird uns von Kindesbeinen an eingebläut, dass Konsum und Persönlichkeit untrennbar miteinander verwoben sind, für Manche sogar absolut synonym. Für Manche ersetzt Konsum außerdem Religion, Wertesystem und moralischen Kompass. Und wer kann es ihnen verübeln? In einer zunehmend komplexen und unübersichtlichen Welt, welche Handhabe haben wir, welchen Hebel halten wir, wenn es nicht derjenige ist, an dem wir verbrauchen?
Wow, große kursive Worte zu Beginn, aber steigen wir ein! Kommen Sie näher. Es geht um Heißgetränke, und jeder weiß, wie viel man damit heutzutage falsch machen kann. Differenzierter als im Jahr 2023 hat man sich noch nie die Zunge verbrüht. Die Auswahl ist schier endlos, die Zubereitungsarten mannigfaltig, die Anbieter so vielseitig es der Markt nur kann. Es gibt sogar Heißgetränk-Ketten, die gehen noch weiter, die individualisieren unsere Bestellung so sichtbar, dass unser Name im buchstäblichsten Sinne auf unseren Bechern steht; Ich-synton und abgeholt wird heute gepustet und geschlürft. Dieser Text könnte endlos werden, denn auch die Optionen und Getränke-Universen sind es. Und mit einem steigenden und differenzierteren Angebot, erwachsen auch differenzierte Konsumenten. Der Einfachheit halber, und weil ich dieser Spezies auch selbst angehöre und daher den Text mit eigenen Erfahrungen würzen kann, beschränke ich mich auf ein einzelnes Heißgetränk und dessen Verbraucher*innen: die Kaffeetrinker.
Der Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen, noch vor Bier und Mineralwasser! Das muss man sich einmal auf der empfindlich verletzten, noch immer prickelnden Zunge zergehen lassen. Der Pro-Kopf-Konsum lag im Jahr 2022 bei 4 Tassen am Tag. Manch geneigte Leserin wird sich jetzt fragen, wer das denn sein soll, der diese reisige Menge an Gebräu sich jedes Jahr einverleibt. Und um genau diese Frage zu beantworten, stelle ich jetzt zwei besondere Klassen an Kaffeekonsumenten vor. Sie sind die schillerndsten ihrer Art und bilden für mich auch die beiden Enden des Spektrums:
Der Café-Snob und der Kaffee-Goblin.
Beginnen wir mir ersterem. Viele Menschen werden nicht wissen, dass sie Café-Snobs in ihrem Bekanntenkreis haben, denn die wenigsten unter ihnen sind laut. Die wenigsten tragen ihre Trinkgewohnheiten vor sich her. Enttarnt wird der Snob erst, wenn er aus irgendeinem Grund mit der Frage nach einer Tasse Kaffee konfrontiert wird. Egal, ob die hypothetisch ist, oder in Armlänge erreichbar für ihn; wie auf Kommando fällt die Maske. „WO möchtest du hin zum Café holen?“, könnte eine verratende Frage sein, mit einem impliziten Vorwurf direkt im gedehnten Wooooo. Denn der Snob weiß, welcher Kaffee in seiner Hood wie zubereitet wird. „WAS für Café?“, könnte die Frage lauten, wenn man sich in der Fremde aufhält, zum Beispiel auf einem Kongress, einer Feier, in einem Restaurant. Bevor eine arme Bedien-Person diese Frage beantworten kann, legt der Snob in solchen Fällen nach. „Also ICH trinke Café nur wenn-“, fügt er sofort an, und dann folgt regelhaft eine umständliche, zeitraubende und außergewöhnliche Zubereitungsart, die das Etablissement nicht bieten kann. Schön wäre, wenn es damit getan wäre, aber das ist es nicht. Es folgt dann ein Monolog; entweder über die Güte, Preisklasse und Aufwändigkeit der eben erst angeschafften Kaffeemaschine, oder die Vorzüge seines präferierten dreistündigen Zubereitungsrituals, das indisputabel ist, wenn man als Konsument wert legt auf Aroma/Bekömmlichkeit/Konsistenz/Farbe/Koffeingehalt des resultierenden Getränks. („Man lässt ihn über zwölf Stunden lang an einem Mondstein entlang tropfen.“/„Man nimmt kalkfreies destilliertes Wasser und rührt es dreimal gegen den Uhrzeigersinn.“/„Man verwendet nur die ersten drei Tropfen aus dem Batch, den Rest kann man vergessen.“) Der Snob schlürft dazu ein Kaltgetränk, denn natürlich konnte das Etablissement nicht liefern. „Da trinke ich lieber keinen“, sagt er und spreizt den kleinen Finger ab. Als nächstes folgt IMMER die Einladung. „Du musst mal vorbeikommen, dann mach ich dir einen RICHTIGEN Café.“ Es beginnt der zweite Akt des Snob-Reveals, der einfachere, denn in seinem eigenen Habitat ist der Café-Snob leicht zu erkennen. Sämtliche waagerechte Oberflächen seiner Küche sind vollgestellt mit dem Fuhrpark, den sein Café-Zeremoniell erforderlich macht. Jeder Schritt der Zubereitung erfordert ein eigenes Gerät, das zuerst mit Getöse hochgefahren und bestückt und nach Erfüllung seiner Bestimmung (ein selten länger als zehn Sekunden dauernder Arbeittschritt) in Feinarbeit wieder auseinandergenommen und gereinigt wird. Serviert wird das Gebräu in einem unbedingt viel zu großen Behältnis, das dafür jedoch unangenehm zu halten ist. Der Café-Snob schlürft und sobald der Sud seine Zunge berührt verzieht sich sein Gesicht beinahe orgasmisch.
„DAS ist ein Café“, verkündet er freudestrahlend und erwartet Applaus für seine Show.
Man kann nur hoffen, dass sein Publikum nicht ein Kaffee-Goblin ist. Denn diesem Wesen läge nichts ferner, als etwas anderes als den direkten Weg zwischen sich und seinem Koffein-Fix zuzulassen. Der Goblin trinkt seinen Kaffee heiß, kalt, im Sitzen, Stehen, Gehen, aus Thermobechern, zur Not auch aus Gurkengläsern, Himmel, wenn nötig würde er ihn aus einer Pfütze schlabbern. Ohne Kaffee kann der Goblin nicht existieren. Das ist keine Übertreibung, er weiß es auch selbst, und trägt die Kunde weit. Er hat sogar Tassen, auf denen genau das steht, und verwendet sie mit Stolz. Er nimmt seinen Kaffee gefiltert, gebrüht, aus dem schimmligen Vollautomaten, aus riesigen Pumpkannen, aus Reservoiren, aus unbeaufsichtigten Thermoskannen, und ja, natürlich auch aus der Siebträgermaschine. Die einzige Voraussetzung, die er an seine Tasse Kaffee hat, ist, dass es eine zweite gibt. Der Goblin lebt von, mit und auch durch das Koffein. Der Goblin kennt den bohrenden Kopfschmerz des Kaffee-Entzugs und identifiziert ihn innerhalb von Sekunden. („Habe ich eine Hirnblutung oder – Wann war die letzte Tasse?“ – Alles so schon gehört.) Der Goblin geht für seine Tasse über Leichen, denn er weiß, dass seine Funktionalität vom Supply abhängt. Wie ein echter Junky lebt er nur für den nächsten Fix, und wenn er ihn braucht, dann nimmt er, was er kriegt. Wenn eine Horde Goblins aufeinander trifft, dann wird sich schon einmal gebrüstet darüber, was man seiner Magenschleimhaut schon für abartige Gebräue zugemutet hat („Aber ganz ehrlich, Carmen, ich würd’s wieder tun!“).
Vielleicht klingt es bei der Lektüre des Textes schon durch: Ich selbst bin eindeutig ein Goblin. Wie man zu einem wird, kann ich nicht genau sagen – wahrscheinlich ist diese persönliche Evolution schwer zu greifen, hyperindividuell und wie so vieles andere auch abzuleiten aus dem Bio-Psycho-Sozial-Modell. Biologie, Psychologie und Sozialisierung (Abgehärtete Geschmacksknospen, Abhängigkeit und ein Beruf im Gesundheitswesen do the Job for me.)
Was oft geschieht, wenn man die Menschheit so eindeutig wie hier in zwei Gruppen unterteilen kann, die so gegenpolig auf die Welt sehen, ist, dass man als Zugehörige der einen Gruppe eine gewisse Arroganz entwickelt und mit Verachtung von seinem hohen Ross auf die Regenwürmer zu seinen Füßen herunter blickt. Ich für meinen Teil habe sehr lange Zeit Snobs bei ihrem Tanz beobachtet, und konnte für mich nur eine Sache daraus ableiten: Diese Menschen MÖGEN keinen Kaffee. Diese Menschen würden gerne Menschen sein, die Kaffee mögen, aber eigentlich mögen sie nur die Show und das Geschwätz darüber. Das ist mit dem Empfinden und Erleben eines Goblins natürlich überhaupt nicht vereinbar, der sich am liebsten „Wer Kaffee liebt, akzeptiert auch, dass er die Bedingungen stellt“ auf ein T-Shirt drucken würde. (Das ist glaube ich ein sehr bekanntes Zitat zum Thema.)
Ich stelle mir vor, dass Snobs aber auf einem ähnlich hohen Ross sitzen und die Kellerasseln zu ihren Füßen beäugen, die (für das Snob-Empfinden zumindest) selbst das Kondenswasser unten im Biomüll als Getränk wahrnehmen würden, sofern eine Ladung Kaffeesatz mit im Beutel war. „Warum würde man sich mit etwas Minderem als dem Optimum abgeben?“, fragen sie sich, „Wir haben 2023 und MÜSSEN keinen schlechten Kaffee mehr trinken. Die Welt steht uns offen. Umarmen wir sie!“, predigen sie und die Fahne von Saeco&Segafredo flattert im Wind.
Ich möchte nicht mehr unreflektiert mit dem Finger zeigen. Wir sind weiter als das. Aber was soll dann dieser Text? Das habe ich mich lange gefragt, und ich glaube, eine Lösung für mich gefunden zu haben. Dieser Text soll zwischen den Parteien vermitteln. Er soll erklären, erziehen und ein Verständnis schaffen füreinander, damit die Gemeinschaft nicht mehr vom Kaffeekonsum gespalten wird. Ich verstehe mich als Vermittlerin zwischen den Fronten, und die Versöhnung der Kaffeekultur in Deutschland ist mein hehres, aber unbedingtes Ziel. Ich habe jahrelang beobachtet, geforscht, Hypothesen formuliert und verworfen, und bin schließlich am Ziel angekommen. Und die möchte ich in diesem Text mit meinen Leser*innen teilen.
Dies ist meine heilige Erkenntnis:
Snobs betrachten ihren Café als Genussmittel.
Und Goblins betrachten ihren Kaffee als Grundnahrungsmittel.
Das erklärt alles. Die Anspruchshaltung, die Beschaffungsmodi, sogar die gegenseitige Verachtung. Die Grundannahme ist eine andere, und damit ist das jeweilige Konsumverhalten dieser beiden Klassen erklärt.
Ta-da!
You have been educated.
Nennt mich „Coffee Annan“: Meine Friedensmission empfinde ich als erfolgreich erfüllt.
Genusmittel vs. Grundnahrungsmittel.
Denkt das nächste mal daran, wenn auf der Musikfreizeit in einer Ecke eine Siebträgermaschine aufgebaut wird und manuell betriebene Kaffeemühlen sich materialisieren, während auf dem Flur eine Horde augenberingter Koffein-Junkies nach Münzen für den monströsen Kaffee-Kakao-Suppen-Kombi-Automaten im Foyer der Jugendherberge schnorrt. (Der mit den braunen Bechern. You’ve seen it.)
Denkt daran, liebe Snobs, wenn ihr eurem Goblin-Freund im Schweiße eures Angesichtes einen Café zubereitet, der all die Kunst erfordert, die ihr euch in Stunden der Recherche und Übung angeeignet habt und in deren Ausübung ihr einen beträchtlichen Anteil eures Privatvermögens investiert habt – und als Reaktion nur ein Schulterzucken erntet.
Denkt daran, liebe Goblins, wenn ihr mit eurem Snob-Freund unterwegs seid in der Stadt und mit jedem von euch gebrachten Café-Vorschlag seine Stirnrunzeln tiefer werden – Er meint es nicht persönlich. Lasst einfach IHN oder SIE den Coffeeplace aussuchen, euch ist es doch sowieso egal.
Und wenn gar nichts hilft und euch sonst nichts eint:
Dann findet gemeinsam einen Grüntee-Trinker.
Und hasst einfach den.
Gern geschehen.
(Beitragsbild von 8photo on freepik)
Toll analysiert und amüsant geschrieben! Oute mich als Mischform „Snoblin“ : Bei Unterkoffeinierung geht alles (auch aus’m Automaten), aber manchmal muss es eben auch der gute Cappuccino oder Espresso vom Italiener sein.
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Du kannst mich gerne einen Snob nennen, dafür dass ich mich weigere schlechten Kaffee zu trinken. In Deutschland finden man leider auch im Café selten einen guten…
Kaffee ist eines der umweltschädlichsten Produkte, die wir konsumieren. Wenn er ein Genuss ist bin ich dennoch dabei. Konsum ohne Rücksicht auf Qualität: für mich ein no go.
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Das Getränk uns alle zu knechten.
Das wichtigste Getränk der modernen Welt – nur durch globalen Handel überhaupt bei uns verfügbar – ist Sinnbild für Kapitalismus (Kaffee-Snob), Globalisierung & Industralisierung.
Es soll uns glauben lassen, dass wir mehr leisten können. Statt zu schlafen gibt es ja Kaffee.
Mal einen Tag frei: auf ins Café und einen großen Cappucchino schlürfen.
Gäb es ihn nicht: was würde die Menschen sonst beschäftigen? Würden wir anders arbeiten? Und wie würde man überhaupt daten?
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