Abgehacktes Schluchzen

Aktuell besteht diese Situation, über die man sich wirklich nicht zu äußern braucht, wenn man nicht etwas Substanzielles beizutragen hat, und die ich auch nicht näher zu erläutern brauche, weil der Auslöser dafür inzwischen fast synonym mit dem Wort “Situation” geworden ist. Nachdem diese Situation so bedeutend ist, dass sogar die Deutsche Bundesregierung sich veranlasst sieht, kleine Schmunzelvideos zur Aufrechterhaltung der Compliance produzieren zu müssen, habe ich wie viele andere auch den Ruf der Pflicht erhört und sitze mir seit Monaten auf der heimischen Couch den Hintern platt. Und wie so viele pflichtbewusste Krieger speise ich den Markt mit Informationen über mein Konsumverhalten und entwickle einen seltsamen Stolz darauf, dass ein sinistrer Algorithmus eines US-amerikanischen Streamingdienstes meine Film- und TV-Vorlieben inzwischen besser kennt als irgendein Algorithmus das sollte. Brav und erfüllt von dieser eigentümlichen Art intellektueller Arroganz sehe ich mir weiterhin Dinge an, die auf irgendeine Art den Dingen gleichen, die ich mir schon angesehen habe, und verlasse mich darauf, dass mich dieses Handeln zerebral reicher macht und nicht etwa ärmer. Wie die geneigten Lesenden sicher auch selbst schon wissen: Macht alles total viel Sinn.

Trotzdem hat dieses Handeln einen entscheidenden Vorteil. Man bekommt oft ähnliche Themen serviert aus verschiedenen Blickwinkeln oder in anderen Settings. Manchmal lässt sich nachvollziehen, woher die Vorschläge kommen, und woher die Übereinstimmung. Und manchmal kommt es vor, dass man tatsächlich anfängt nachzudenken.

(Dieser Text handelt einige meiner Reflektionen ab und ist natürlich einseitig und unsachlich und gesellschaftspolitisch nicht ganzheitlich. Muss er aber auch nicht sein, weil es ja nur mein Empfinden ist und keine Bachelor-Arbeit, und jeder, der nicht wusste, dass in mir unter anderem eine kleine Feministin schlummert, muss jetzt halt kurz stark sein.)

Eines der Muster, die mein kleiner Algorithmus-Knecht aktuell zu bedienen scheint, ist „erfolgreiche weibliche Protagonistin in Männerdomäne“. Hier nenne ich jetzt auch endlich Namen, damit diejenigen, die es gesehen haben, lustvoll oder schadenfroh eintauchen können, und diejenigen, welche es noch spoilerfrei sehen wollen weg-X-en. Es geht um „Bad Banks“, „Die Erfindung der Wahrheit“ und quasi im Nachwort auch noch kurz um das „Damengambit“.

Ein kurzer inhaltlicher Abriss, was sehen wir uns da an?

Ich beginne mit der „Erfindung der Wahrheit“, ein Netflix-Film von 2016. Jessica Chastain hat einen Long-Bob und spielt eine determinierte Lobbyistin namens Elisabeth Sloane, die sich mit ihrer Agentur verkracht, sich bei einer neuen ins Spiel bringt und von dort ein sehr komplexes Konstrukt aus Lügen, Versprechungen und gezielten Fehlinformationen aufbaut. Dies tut sie, um ihre Wahlkampagne zum Erfolg zu machen und die Perversionen und illegalen Machenschaften des Lobbyismus aufzuzeigen.

„Bad Banks“ ist eine ZDF-Serie, die seit 2017 produziert wird. Paula Beer hat einen Long-Bob und spielt eine determinierte Bankerin namens Jana Liekam, die sich mit ihrer Bank verkracht als sie deren illegalen Machenschaften exponiert. Dies tut sie, um sowohl selbst reich zu werden, als auch die Perversionen der Bankenbranche aufzuzeigen. In der zweiten Staffel bringt sie sich dann bei einer neuen Bank bzw von ihr protegierten Firmen ins Spiel und baut von dort ein sehr komplexes Konstrukt aus Lügen, Versprechungen und gezielten Fehlinformationen auf, hauptsächlich um nicht durch ihre Vorgesetzten aus der ersten Bank gekillt zu werden. Wohin das dann alles führen soll, ist zumindest auch nach der aktuellen Staffel noch nicht klar.

Warum habe ich mir das angesehen?

Zugegeben, ich bin überzeugt vom Konzept „erfolgreiche weibliche Protagonistin im Corporate-Setting“, einfach, weil das ziemlich innovativ ist. Dank der immer noch fehlenden Frauenquote ist dieser Typ Mensch sowohl im echten Leben, als auch in der Fiktion nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, und auch wenn es sehr tragisch ist, dass ich das jetzt so formulieren muss, macht mir das Gedankenexperiment dieser Produktionen Spaß. Wir sehen Frauen, die versuchen sich – neben ihrer unbestreitbaren Kompetenz! – durch krassestmöglichen Opportunismus nach oben zu katapultieren. Und das scheint ja der Weg in Führungsebenen und Aufsichtsräte zu sein, zumindest wird uns das oft genug vorgelebt und erzählt (und natürlich vom großen roten N und Konsorten so weiterverbreitet).

Liz Sloane und Jana Liekam sind eiskalte Weiber, die über Leichen gehen, und sympathisch sind sie uns dabei nicht. Irgendetwas in mir wünscht sich sehr stark, dass es diese Frauen gibt, einfach als ausgleichende Gerechtigkeit für all die Männer da draußen, von denen zur Genüge erzählt wurde und durch die wir glauben zu wissen, dass dieses Verhalten gängige Praxis ist.

Warum ist das jetzt so innovativ?

Gibt es sonst beruflich erfolgreiche, mächtige Frauenfiguren in fiktiven Werken? Es sind nicht viele. Spontan fällt mir „Der Teufel trägt Prada“ ein und tatsächlich war wahrscheinlich die Modeindustrie bis vor Kurzem die einzige Branche, in der es so etwas wie „weibliche Ikonen“, die wirklich Einfluss nehmen können, überhaupt vorstellbar waren. Meryl Streeps Figur wird hier jedoch derartig spleenig überzeichnet, dass sie auch in ihrer Tyrannei nicht ernst zu nehmen ist (was sicher auch – aber nicht nur – dem Komödien-Genre geschuldet ist). Die zweite, die mir einfällt, ist Claire Underwood aus „House of Cards“. Sie wird Präsidentin der USA indem sie ihren Mann umbringt. Auch ein Karriereverlauf, der eher nicht vorstellbar ist (oder? Wer weiß das heutzutage schon).

Und wo ist dann das Problem?

Irgendwie haben „Bad Banks“ und die „Erfindung der Wahrheit“ das Gefühl, dass sie rechtfertigen müssen, warum ihre Protagonistinnen tun, was sie tun. An sich gehört das zu einer gut durchdachten Figur mit dazu, aber meiner Meinung nach entstand in den kumulativen Gehirnen dieser Produktionen dann folgender Trugschluss:

  • Unsere Protagonistin bewegt sich auf Positionen und in Kreisen, in denen wir Frauen nicht gewohnt sind zu sehen.
  • Das heißt, dass sie nicht wie typische Frauen handelt und denkt.
  • Das heißt, dass mit ihr grundsätzlich etwas nicht stimmen muss.

Leider wird es ab diesem Gedanken unangenehm, weil man es, wenn man es einmal gesehen hat, nicht mehr übersehen kann.

Liz Sloane redet wie eine Maschine in Formulierungen, die den Autoren schon beim Schreiben unangenehm gewesen sein müssen; falls eine Gebrauchsanweisung sprechen könnte, würde sie sich so anhören. Sie hat keine Beziehungen, keine Freunde und Sex nur, wenn sie dafür bezahlt (aber das tut sie freiwillig, weil eben sonst komplett beziehungsunfähig). Alles was sie tut und sagt schreit dem Zuschauer „SOZIOPATHIN!!!!“ direkt ins Gesicht.

Jana Liekam ist da anders. Sie hat zu Beginn der Serie eine Beziehung, die an der Entfernung und ihrer Arbeitswut zerbricht. Sie hat so etwas wie Freundschaften mit ihren Kollegen, auch wenn es da mit dem Vertrauen nicht weit her ist. Sie schläft ab und zu mit Vorgesetzten, keine Ahnung, weil Frauen das halt so tun wenn sie ihrer Emotionen nicht mehr Herrin sind, und sie hat ja auch ihre Bedürfnisse (?) … So weit, so klischeehaft, aber im emotionalen Erleben ja fast menschlich. In der ersten Staffel wird Jana auch gefragt, warum sie unbedingt Karriere machen will, und sie antwortet erfrischend mit: „Ich weiß nicht, aber ich brauch’s“, weil warum nicht? Leider wird uns in der zweiten Staffel dann von ihr erklärt, dass sie eigentlich an einer Ich-Erlebnisstörung namens „Derealisation“ leidet und sich nur in der Realität verankern kann, wenn sie erfolgreich ist und dadurch Validation erhält.

Ahja.

Ja, das erklärt’s natürlich viel besser.

Was an diesen hilflosen Erklärungsversuchen so tragisch ist, ist, dass mir im TV noch nie ein erfolgreicher Mann auf diese Weise erklärt wurde. Frauen brauchen für die Medien immer noch komplexe Gründe, ein hehres Ziel und mindestens eine psychiatrische Störung, um ihren Willen zum Erfolg zu rechtfertigen. Und Männer? Die sind halt einfach Männer, und wenn sie sehr erfolgreich sind, dann sind sie eben noch Arschlöcher wegen der anderen erfolgreichen Männer, die auch Arschlöcher sind, aber das war’s dann halt auch mit den Motiven.

Aber ist es nicht gut, wenn Frauen besondere Eigenschaften attestiert werden, weil sie im „Männerbild“ nicht funktionieren? Sie sind ja schließlich auch keine Männer?

Besondere Eigenschaften, ja. Psychiatrische Störungsbilder, nein, weil was soll das bitte vermitteln? Wenn du eine durchschnittliche Frau bist, dann ist eine mächtige Führungsposition einfach nichts für dich? So ist es lange genug kommuniziert worden. Hallo, what year is it, außerdem bewegen wir uns in erfundenen Geschichten, und Utopien sollten doch zumindest hier möglich sein.

Versteht mich jetzt hier nicht falsch, ich möchte auf keinen Fall sagen, dass Menschen MIT psychiatrischen Erkrankungen einen Nachteil oder Vorteil daraus haben sollten, sie sollten genau die gleichen Dinge tun können, wie Menschen ohne. Aber diese Produktionen wollen keine Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen zeigen, weil sie das dann anders framen (oder böse gesagt: ausschlachten) würden. Sie zeigen einfach Frauen, mit denen etwas nicht stimmt.

Das nächste ist, dass es den besagten Produktionen auch sehr wichtig ist zu zeigen, dass die Frauen sich mit ihren großen Würfen übernehmen und überfordert sind. Während ihre männlichen Kollegen in solchen Situationen aber rausgehen und irgendwen verprügeln, gehen Miss Sloane oder Frau Liekam in leeren Büros begleitet von der Shaky-Cam in die Knie, werfen Tranquilizer ein wie Smarties und fangen an hysterisch abgehackt zu schluchzen. Im besten Fall beobachtet das noch ein männlicher Kollege und schüttelt beim Weggehen abschätzig den Kopf. Bitte. Aufhören.

Es wurden noch einige Worte zum „Damengambit“ versprochen.

JA! Herrgott, ja. Diese Serie habe ich geliebt und musste lange überlegen warum. Auch hier sehen wir eine unkonventionelle weibliche Protagonistin, die hauptberuflich fragile Männer-Egos zerstampft. Auch sie kann das leider nicht ohne Wunderkindstatus/Grenzautismus und ein ausgewachsenes Suchtmittelproblem, weswegen sie gut in die Reihe der oben genannten Frauen passt. Aber das „Damengambit“ ist eine gelungene Utopie. Es gab nie ein weibliches Schach-Genie namens Beth Harmon, und ich wage auch stark zu bezweifeln, dass ihre Karriere in den 60ern so verlaufen wäre wie in der Serie dargestellt, gerade auch WEGEN ihres Geschlechts. Aber das war den Autoren und Produzenten mal sowas von egal. Beth „rasiert“ über die gesamte Serie hinweg, etabliert sich aber massiv in der Szene und bekommt weniger Feindseligkeit, als viel mehr Respekt dafür gezollt. Klar, sie hat ihre Alkoholexzesse, Abstürze etc, aber ich sehe ein, dass es wahrscheinlich langweilig wäre ihr 7 Folgen lang beim Gewinnen zuzusehen, und wenn ich jemanden als Genie zeichne, brauche ich WIRKLICH einen triftigen Grund, warum es mal nicht passt.

Hier haben wir auch des Pudels Kern: Beth ist eine Frau, die aufgrund besonderer Eigenschaften erfolgreich wird und respektiert. Liz und Jana sind Frauen, die für ihren Erfolg permanent gerechtfertigt und bestraft werden.

Und wie ein sehr guter Freund bemerkte, gilt es hier noch den wichtigen finalen Punkt ins Feld zu führen. Bei allen drei Produktionen kann man durchaus von MACHERN der Serie sprechen. Bis auf bei Bad Banks, wo es immerhin jeweils eine Frau im Autorenteam und eine Produzentin gibt, bekleiden Buch, Regie und Kamera dieser Werke ausschließlich Männer. Ob das mit dazu beiträgt, was wir da gezeigt bekommen? Ist das am Ende auch der Blick dieser Männer auf erfolgreiche Frauen? Ich denke, das ist eine rhetorische Frage.

So. Genug gepredigt.

Ich habe lange über diesen Kommentar und seine Implikationen nachgedacht. Ich meine, es sind schon ziemlich nischige Beispiele, die ich hier heranziehe, und es ist immer noch Fiktion; es sind am Ende Geschichten, die sich irgendjemand ausdenkt. Aber erstens bilden diese Geschichten Gesellschaften ab, weil Menschen, die sie produzieren, in ihnen sozialisiert sind. Zweitens formen Geschichten auch Gesellschaften, weil Menschen wie Du und Ich sie konsumieren und davon beeinflusst werden, vielleicht auch unser Handeln danach gestalten. Deswegen tragen die Macher Verantwortung, und leider Gottes! Auch die Konsumenten. Gerade jetzt, in Zeiten, in denen wir uns so abartig viel von diesem Zeug reinziehen (einfach weil nicht viel anderes möglich ist), ist es wichtig, zu reflektieren was wir sehen, und vielleicht sogar mit anderen über das zu sprechen, was uns darin berührt oder stört (und zugegeben, was anderes gibt es aktuell auch oft nicht zu erzählen). Das ist auch nicht auf Frauenbilder begrenzt! Das wäre ja furchtbar. Da ich aber eine Frau bin, die auch beruflichen Erfolg nicht für ausgeschlossen hält, ist mir dieses Thema eben nahe. Es gibt unendlich viel Unter- und Misrepräsentation in den Medien, und manchmal bemerkt man es erst beim zweiten Hinsehen.

Und hier jetzt meine Bitte! Wenn ihr das nächste Mal so Lockdown-Sachen macht wie jemanden zum Spazierengehen treffen und euch austauschen, was der jeweils andere auf seiner jeweiligen Couch sich so angesehen hat, fragt doch nicht nur: „Hat es dir gefallen?“, sondern auch „WARUM hat es dir gefallen/WARUM nicht?“. Dann gibt es, wenn ihr Glück habt, eine Diskussion. Und dann wird am Ende auch Streamen zur gesellschaftlichen Aufgabe mit auf lange Sicht ähnlich wichtigem Impact wie das Zuhausebleiben an sich.

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